Herausforderung: Biozidrechtliche Zulassung von In-Situ-Systemen

EU-Biozidverordnung umfasst auch In-Situ-Systeme

Seit ersten September 2013 schreibt die EU-Biozid-VO 528/2012 erstmals die Einbeziehung der am Ort der Verwendung hergestellter Desinfektionsmittel und ein einheitliches Europäisches Zulassungsverfahren für diese sogenannten In-Situ-Systeme vor.

Das mit dieser Verordnung etablierte Rechtsrahmen enthält nicht nur folgende klar formulierte  Regelung in:

„Artikel 17 Bereitstellung von Biozidprodukten auf dem Markt (1) Biozidprodukte dürfen nur auf dem Markt bereitgestellt oder verwendet werden, wenn sie gemäß der vorliegenden Verordnung zugelassen wurden.“ 

Die BiozidVO schreibt auch detailliert ein zweistufiges Genehmigungsverfahren vor das aus einer sogenannten Wirkstoffgenehmigung und einer anschließenden Produktzulassung besteht, legt Übergangsfristen und Zeitpläne fest und will sicherstellen, dass in Zukunft nur Marktteilnehmer auf dem EU-Binnenmarkt tätig werden können, die sich aktiv an der Genehmigung der von ihnen in Verkehr gebrachten oder genutzten Desinfektionsverfahren beteiligen. 

Eine wichtige Rolle bei der praktischen Umsetzung der durch die EU-Biozidverordnung geschaffenen Verpflichtungen spielen sogenannte regulatorische und technische Leitfäden (Guidance Documents), die sowohl von der Kommission und den zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten als auch von der European Chemicals Agency (ECHA) entwickelt, veröffentlicht und ggfs. fortgeschrieben werden. 


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Bereich Wasser - Referent
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Bereich Wasser - Referent
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Vorteile von In-Situ-Systemen

Die figawa hat frühzeitig erkannt, dass das durch die EU-BiozidVO gerade die Zulassung von sogenannten In-Situ-Systemen zahlreiche Fragen aufwirft und viele Details für eine erfolgreiche Abwicklung der zeit- und kostenaufwändigen Zulassungsverfahren schlicht ungeklärt waren und teilweise auch weiterhin sind.

Zugleich ist offensichtlich, dass bei der Aufbereitung und Behandlung von Wasser für verschiedene Verwendungszwecke bereits heute In-Situ-Systeme eine ganz entscheidende Rolle spielen und die Bedeutung dieser Systeme sowohl in der zentralen Wasserversorgung als auch bei der Schaffung dezentraler Wasserkreisläufe weiter an Bedeutung gewinnen werden.

Wesentliche Vorteile von In-Situ-Systemen sind unter anderem, dass Desinfektionsprodukte wie Chlor, Chlordioxid oder Ozon zu dem Zeitpunkt und lediglich in der Menge hergestellt werden, in der sie zur Aufbereitung oder Behandlung von Wasser benötigt werden. Eine Zusammenfassung der gängigen, in der Wasseraufbereitung und Wasserbehandlung zum Einsatz kommenden Systeme, wurden in folgendem Fachartikel beschrieben.

figawa aktiv bei Klärung der regulatorischen Rahmenbedingungen für die Produktzulassung von In-Situ-Systemen

In einem ersten Schritt haben die Fachleute der Mitgliedsunternehmen der figawa bereits 2013 erkannt, dass die rein rechtlich durch die BiozidVO verpflichteten Betreiber entsprechender gerätebasierter In-Situ-Systeme weder das Know-how noch die finanzielle Leistungsfähigkeit haben, eigenständig ein biozidrechtliches Genehmigungs- und Zulassungsverfahren zu durchlaufen.

Zugleich wurde deutlich, dass eine individuelle Zulassung von rund 2 Millionen dezentral im Einsatz befindlichen In-Situ-Systemen nicht möglich ist. 

Gemeinsam mit ihrem europäischen Verband Aqua Europa hat die figawa deshalb im aktiven Dialog mit den zuständigen Behörden wesentliche Beiträge zu grundlegenden Dokumenten geleistet:

Hier wurde durch die zuständigen Behörden unter anderem klargestellt, dass auch die Hersteller sogenannter Precursoren wie zum Beispiel Kochsalz für die in-situ Erzeugung von aktivem Chlor und die Hersteller entsprechender Anlagen zum Erwerb von biozidrechtlichen Genehmigungen berechtigt sind.

Zugleich sieht dieser regulatorische Leitfaden eine Bündelung der Systeme vor und setzte neue Fristen für die notwendige Notifizierung von Systemen. 

Eine Allianz von Verbänden für die Trink- und Badewasserbranche

Parallel hat die figawa im April 2015 eine Allianz führender Verbände von Herstellern und Betreibern von In-Situ-Systemen angestoßen. Folgende Verbände waren neben der figawa gemeinsam in den Klärungsprozess involviert:

Ziel war es, die weitere Entwicklung der Rahmenbedingungen für die Zulassung von gerätebasierten In-Situ-Systemen aktiv zu begleiten und sicherzustellen, dass alle Betreiber zumindest bis zum Abschluss des zwingend vorgeschriebenen Produktzulassungsverfahrens die rund 2,5 Mio. europaweit im Einsatz befindlichen In-Situ-Geräte für die Wasseraufbereitung und Wasserbehandlung in Übereinstimmung mit den Anforderungen der EU-Biozid VO weiter betreiben können.

Arbeitshilfen für Gerätehersteller & Betreiber von In-Situ-Anlagen

Gleichzeitig wurde ein figawa-internes Projekt aufgesetzt und entsprechend den Vorgaben der figawa-Satzung finanziert, um die notwendigen Projektarbeiten und insbesondere die Einbindung einer auf diesem Gebiet führenden europäischen Anwaltskanzlei zu ermöglichen.

Aus der intensiven Arbeit des Projektkreises heraus, sind mehrere Arbeitshilfen entstanden, die insbesondere Betreibern von In-Situ-System und Geräteherstellern Hilfestellung bei der Umsetzung der Vorgaben der EU-Biozidverordnung geben sollen. Besonders Unternehmen können sich dadurch rasch mit den Wirkungen und Fristen der BiozidVO vertraut machen.

Intensiver Dialog mit Behörden und der EU-Kommission

Der im Rahmen der Projektarbeit ebenfalls 2015 gegründete Projektlenkungskreis hat zudem beschlossen, den Dialog mit den Behörden insbesondere zur Ausgestaltung des Produktzulassungsverfahrens für In-Situ-Systeme weiter zu intensivieren und hierfür aktiv Vorschläge für eine rechtskonforme und zugleich praktikable Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für das Produktzulassungsverfahren für gerätebasierte In-Situ-Systeme zu entwickeln.

Auf Wunsch der EU-Kommission wurde der erarbeitete Vorschlag von Aqua Europa und ECA A/S, einem ebenfalls auf diesem Gebiet tätigen Konsortium mit Sitz in Dänemark, im September 2017 in den Arbeitskreis der Competent Authorities for Biocidal Products eingebracht, der die EU-Kommission bei der Erarbeitung sogenannter delegierter Rechtsakte unter der BiozidVO unterstützt.

Die hierfür entwickelte Präsentation gibt einen raschen Überblick über die wesentlichen Eckpunkte dieses Vorschlages.

Auf dieser Grundlage und intensiver Beratungen der zuständigen Behörden ist mittlerweile ein umfassender regulatorischer Leitfaden entstanden, der aller Voraussicht nach im Mai 2019 von den Competent Authorities verabschiedet werden wird:

In diesen Arbeitsstand sind auch zahlreiche schriftliche Kommentare und die Ergebnisse mehrerer Gespräche von Aqua Europa und figawa mit dem zuständigen Team der EU-Kommission eingeflossen.

Klar ist aber auch, dass auch nach Verabschiedung dieses Leitfadens zahlreiche technische Fragen, wie zum Beispiel die notwendige Bündelung von In-Situ-Systemen in Gruppen  und die  Erfüllung der Datenanforderungen durch Standards nur anhand konkreter Beispiele im weiteren Verfahren klären lassen. 

ISA Consortium treibt Produktzulassungsverfahren für In-situ erzeugtes Chlor voran

Auch vor dem Hintergrund der gemeinsam erreichten Klärungen bei den regulatorischen Rahmenbedingungen für die Biozidproduktzulassung von In-Situ-Systemen in der Wasseraufbereitung haben sich zahlreiche Mitgliedsunternehmen der figawa im Sommer 2018 entschieden, die praktischen Verfahrensanforderungen in einem Unternehmenskonsortium anzupacken.

Dabei stand und steht die Produktzulassung des Systems "Chlor erzeugt aus Natriumchlorid durch Elektrolyse" aus folgenden Gründen klar im Mittelpunkt:

  • Das dem Produktzulassungsverfahren vorgeschaltete Wirkstoffgenehmigungsverfahren steht soweit heute erkennbar kurz vor dem Abschluss. Die noch in 2019 zu erwartende formelle EU-rechtliche Genehmigung von in-situ erzeugtem Chlor als biozidem Wirkstoff wird zugleich eine eng bemessene Frist von 2 Jahren vorsehen, in der Anträge auf Produktzulassung erarbeitet und eingereicht werden müssen. Damit wird "Aktives Chlor erzeugt aus Natriumchlorid durch Elektrolyse" das erste gerätebasierte In-Situ-System sein, für das ein Produktzulassungsverfahren notwendig wird.
  • Der von der figawa entwickelte Vorschlag für die regulatorische Ausgestaltung des Produktzulassungsverfahrens sieht wo immer möglich die Verwendung von Standards und Normen als Grundlage für die Erfüllung der biozidrechtlichen Anforderungen vor. Mit der Etablierung von ISA Consortium soll sichergestellt werden, dass der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen der weiter laufenden Klärung der biozidrechtlichen Anforderungen und der Normungsarbeit so eng wie irgend möglich erfolgt. 
  • Mit der Gründung von ISA Consortium setzen führende Geräthersteller ein klares Signal, dass sie auch im Interesse ihrer Kunden die Erfüllung aller biozidrechtlichen Anforderungen sicherstellen wollen und werden. Dies schafft die notwendige Investitionssicherheit bei allen am Einsatz von In-Situ-Systemen interessierten Kunden.
  • Durch die Entwicklung konkreter Zulassungsanträge und den kontinuierlichen Austausch mit den zuständigen Behörden über diese Anträge wird insbesondere die Klärung der weiter offenen Detailfragen bei der Produktzulassung von In-Situ-Systemen deutlich erleichtert und unterstützt.  

Im Zuge der Gründung von ISA Consortium haben die hier zusammenarbeitenden Unternehmen zugleich entschieden, die figawa Service GmbH mit dem Konsortialmanagement zu beauftragen und sie gebeten als Antragsteller und ggfs. Zulassungsinhaber in dem Zulassungsverfahren tätig zu werden.

ISA Consortium gehören derzeit 15 marktführende europäische und internationale Unternehmen an, die Geräte und Anlagen für die Aufbereitung und Behandlung von Wasser für unterschiedliche Anwendungen herstellen und hierbei das In-Situ-System "Aktives Chlor erzeugt aus Natriumchlorid durch Elektrolyse" einsetzen.

ISA Consortium ist sowohl offen für die Zusammenarbeit mit anderen Konsortien, die ebenfalls an der Produktzulassung dieses oder anderer Biozidprodukte arbeiten, als auch offen für die Mitgliedschaft weiterer Unternehmen auf der Grundlage des geltenden Konsortialvertrages. 

figawa-Mitglieder in Konsortien für Ozon-Desinfektionsanwendungen aktiv

Auch für andere In-Situ-Systeme sind bereits Konsortien aktiv. So engagieren sich einige figawa-Mitglieder in den Konsortien EurO3zon und European Ozone Trade Association. Sie unterstützen und initiieren damit auch die Entwicklung technischer Normen im Bereich der Ozonbehandlung und bringen das technologisches Fachwissen in die Verbandsarbeit mit ein.